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Aarbecht!? Et gëtt héich Zäit!

Seit in den siebziger- und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf breiter Front für die Verkürzung der Arbeitszeit gekämpft wurde, ist einiges passiert. In vielen europäischen Ländern wurde das Thema Arbeitszeitverkürzung eher zaghaft angepackt. In anderen, wie Deutschland oder Frankreich, wurde eine substanzielle Verkürzung der Wochenarbeitszeit erreicht. Das ging aber nur über den Weg von Arbeitskämpfen, die in ihrer Intensität viele vorangegangenen Arbeitskämpfe in den Schatten stellten. Es waren regelrechte Aufstände. Das Ziel der Streiks war es, einen Teil der Produktivitätsgewinne in Form von weniger Arbeit bei gleichbleibendem Lohn abzuschöpfen. Oder: Die Lohnabhängigen mussten ihre Arbeitskraft also weniger oft verkaufen bei gleichem Lohn. Oder: Die Arbeiter forderten ihren Anteil an geschaffenem Mehrwert. Der Streik in der deutschen Automobilindustrie dauerte fast sieben Wochen, dann einigten sich die Tarifpartner auf das Verfahren der besonderen Schlichtung. Der Einigungsvorschlag der besonderen Schlichtungsstelle, der am 26. Juni 1984 der Öffentlichkeit präsentiert wurde, sah vor, die Wochenarbeitszeit im betrieblichen Durchschnitt auf 38,5 Stunden zu verkürzen.

Mobilisierungen

Das Ziel der IG-Metall war die 35-Stundenwoche. Der Kompromiss: 38,5 Stunden im Durchschnitt und mehr Flexibilisierung. 1987 wurde die 37-Stundenwoche erreicht. Den endgültigen Durchbruch schafften die IG-Metall und die IG-Druck und Papier im Jahre 1990. Die Arbeitgeber erklärten sich bereit, in 2 Stufen bis 1995 die 35-Stundenwoche einzuführen. Am 13. Juni 2018 jährte sich übrigens zum 20. Mal das Inkrafttreten der 35-Stundenwoche bei unseren französischen Nachbarn. Per Gesetz wurde in allen Unternehmen im ganzen Hexagon die gesetzliche Arbeitszeit von 39 auf 35 Stunden gesenkt. Die „Loi Aubry“ hat ihren Ursprung in François Mitterands 110 Vorschlägen für ein sozialeres Frankreich. Die französischen Sozialisten zogen 1997 mit einer klaren Positionierung für die 35-Stundenwoche in den Wahlkampf. Es soll Dominique Strauss-Kahn gewesen sein, der Lionel Jospin überzeugt hat, die 35-Stundenwoche ins sozialistische Programm einzuschreiben. Fazit: der Kampf für die 35-Stundenwoche wurde auf verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Ebenen geführt. Und muss heute auf den gleichen politisch/gesellschaftlichen Ebenen geführt werden. Denn dort wo die 35-Stundenwoche möglich wurde, wird sie heute vor dem Hintergrund eines breiten neoliberalen Konsenses mit den bekannten Gegenreformen betrachtet und gebremst. In vielen Branchen sind die erkämpften Rechte weitgehend rückgängig gemacht worden. Der gesamte neoliberale Konsens bedeutet, dass alle Errungenschaften des Sozialstaats und der Arbeiterbewegung unter dem Blickwinkel der sakrosankten Wettbewerbsfähigkeit, der Senkung der Arbeitskosten und der maximalen Renditesteigerung betrachtet werden. Dies hat sich mit dem Aufkommen der digitalen Revolution weitgehend verschärft. Deshalb muss auch hier angegriffen werden. Eine Wiederbelebung des breit angelegten Kampfes für Arbeitszeitverkürzung tut Not. Und es wäre verlorene Zeit, darauf zu vertrauen, dass sich die Politik heute aus freien Stücken dazu überwinden könnte, per Gesetz die Arbeitszeit zu verkürzen und den positiven Effekt nicht durch eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten wieder zunichte zu machen.

Stück vom Kuchen

Denn genau dieser Fehler wurde zum Beispiel bei unseren deutschen Nachbarn gemacht und zwar nachhaltig. Die Lohnabhängigen haben ein Recht auf ein größeres Stück vom Kuchen. Und eine kollektive Arbeitszeitverkürzung als Verkürzung der Normalarbeitszeit für Alle, beinhaltet, anders als flexible Arbeitszeitgestaltung, die Chance auf Abbau der Arbeitslosigkeit durch Wiederbesetzung der in größerem Umfang frei werdenden Stellen durch sowohl Arbeitslose wie fertig Ausgebildete.

Denn: jeder Arbeitslose weniger erhöht potentiell die Kampfkraft der Gewerkschaften, nicht zuletzt auch in ihrem „Kerngeschäft“ Lohnerhöhungen. Die Gewerkschaften haben ein vitales Interesse daran, ihre Kampfkraft zu erhöhen. Das geht weniger über den Weg von Zugeständnissen als über den Weg von radikaler Arbeitszeitverkürzung. Arbeitszeitverkürzung mit nachhaltiger Beschäftigungswirkung für alle. Die Zukunft der gewerkschaftlichen Arbeit muss auf dieses Ziel ausgerichtet sein. Gerade die Digitalisierungsdebatte genießt hier einen zentralen Stellenwert. Die Diskussionen und öffentlichen Darstellungen der Digitalisierung suggerieren eine „Win-Win“ Situation. Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt sollen sich prekäre Arbeitsformen und schwierige Arbeitsbedingungen zunehmend auflösen. Damit am Ende alles gut wird. Und mit der Digitalisierung entsteht eine schöne, neue Gesellschaft, in der alles besser ist und in welcher die Widersprüche aufhören zu existieren. Fakt ist allerdings, dass das alte System in neuem Outfit daher kommt.

Gewinner und Verlierer

Doch die Gesetze des kapitalistischen Systems bleiben in Kraft – auch wenn die Arbeit in digitalisierten Produktionsketten verrichtet wird. Denn im Grunde ändert sich wenig. Es werden auch weiterhin Gewinner und Verlierer der Digitalisierung im Kapitalismus geben. Die Kapitaleigner auf der einen Seite und die durchrationalisierten Beschäftigten auf der anderen. An der Produktionsfront wird sich das Rad immer schneller drehen und bei den Produzierenden macht sich vermehrt Frust breit, weil viele Betroffene zu Statisten und Zuschauern degradiert werden. Zur Lösung der Konflikte ist es unerlässlich, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen, ein gemeinsames und emanzipiertes Bewusstsein zu schaffen. Die massiven Angriffe auf den sozialen Besitzstand der Lohnabhängigen generieren ebenso massive Konflikte. Und weil Konflikte Konflikte sind, müssen sie auch konfliktuell gelöst werden. Die Gewerkschaftsarbeit muss von Konsenssuche auf Konfliktbereitschaft umschalten. Betriebsübergreifende Themen sind auch gesellschaftliche Themen und die Gesellschaftskritik ist ein wesentlicher Vektor dieser Kritik. Die Strategien der Kapitaleigner betreffen mehr und mehr die gesamte Lebenszeit der Betroffenen und ihrer Familien. Deshalb muss eine neue Bündnisarbeit im Vordergrund stehen. Die Vernetzung der gewerkschaftlichen Akteure mit sozialen Bewegungen bringt die mittelbar mit den unmittelbar Betroffenen zusammen und ermöglicht gemeinsames Handeln. Die Zusammenarbeit mit, auch global vernetzten, sozialen Bewegungen kann sehr viel bewegen. Oberste Priorität bleibt dabei, das Kräfteverhältnis zugunsten der Lohnabhängigen zu verschieben.

Stärkung der Werte

Dazu muss die systematische Zusammenarbeit und die Förderung der arbeitswissenschaftlichen Arbeit mit den gewerkschaftlichen Akteuren wieder in den Fokus gerückt werden. Ein stärkeres Zusammenleben von Theorie und Praxis ist unerlässlich für eine nachhaltige Organisierung und Mobilisierung aller Betroffenen. Abhängig Beschäftigte zu Handelnden in ihren eigenen Konflikten zu machen, das sollte die Priorität sein. Den Schritt zu gehen, über die konkrete Aktion hinaus gerichtet auf eine nachhaltige Veränderung. Die Konflikte nach draußen zu tragen heißt, die gewerkschaftliche Betriebsarbeit zu politisieren. Über die Massenmedien wird die herrschende Politik im gesellschaftlichen Mainstream etabliert. Die Antwort auf diese gefährliche Entwicklung kann nur die Generierung einer Gegenöffentlichkeit und eine möglichst breite Aufklärung sein. Die Stärkung gemeinsamer humanistischer Werte wie Gerechtigkeit, Solidarität, Gleichheit und Freiheit sind die Grundlagen der Politisierung der betrieblichen Gewerkschaftsarbeit. Politik und Gesellschaftskritik müssen verstärkt Gegenstand der gewerkschaftlichen Arbeit im Betrieb und auf der Straße sein, die Themen müssen mehrheitsfähig werden. Die zentrale Frage ist und bleibt: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Und: Ist das aktuelle Wirtschaftssystem mit all seinen Auswirkungen das Modell für die Zukunft? Oder muss es überwunden werden? Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt nicht unwesentlich von der Gestaltung der Arbeit ab. Das Terrain darf auf keinen Fall den Kapitaleignern überlassen werden.