#BleiwtDoheem (1)
Dieser geflügelte Imperativ sorgt seit Mitte März des Jahres Eins der Coronakrise für viel Aufregung. Brutale Veränderungen durch den Lock-Down haben so ziemlich alles auf den Kopf gestellt. Das wirtschaftliche, das öffentliche aber auch das soziale Leben und alles was dazu gehört wurden mit der Verkündung bzw. der Verlängerung des « Etat de Crise » im sonst eher beschaulichen Luxemburg komplett ausgebremst. Beinahe Stillstand …
Viele, nicht alle, weil sie nicht durften, blieben zu Hause. Schüler, Studenten, Lohnabhängige und Rentner sowieso. In Kurzarbeit, in sozialer Isolation oder in Perspektivlosigkeit. Für viele hieß es
schlicht und ergreifend „Bleiwt doheem“: von zu Hause aus arbeiten. Das wirtschaftliche Leben wurde in großen Teilen und innerhalb von wenige Tagen von 100 auf 0 zurückgefahren. Gleichzeitig mussten sich innerhalb sehr kurzer Zeit ganz viele am Homeworking versuchen. Der Moment den Télétravail auf breiter Front zu testen war gekommen.
Und erstaunlicherweise schien es relativ gut zu laufen. Doch es gibt Regeln, die eigentlich auch in Krisenzeiten gelten. Ob diese Regeln beim Feldversuch eingehalten wurden ist zu bezweifeln.
Zu den Fakten: Es gibt eine Konvention, die am 21. Februar 2006 von OGBL und LCGB einerseits und der Union des Entreprises Luxembourgeoises andererseits unterschrieben wurde. Dieses Abkommen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, welches 2015 erneuert wurde, regelt detailliert die Bedingungen für das Homeworking. Homeworking, auch Homeoffice genannt, ist bekanntlich eine sehr spezifische Art und Weise zu arbeiten und unterliegt auch deshalb strengen Regeln. Im jeweiligen Arbeitsvertrag oder in einem Zusatz zum Arbeitsvertrag, muss ein klarer Verweis auf den Artikel L.121-4 des Code du travail stehen. Der genannte Artikel definiert so etwas wie eine erweiterte Jobbeschreibung. Präzisiert werden muss zum Beispiel an welchem Ort genau der betroffene Homeworker seine Arbeit verrichtet, welche präzisen Arbeitszeiten gelten oder wie der Kontakt mit dem jeweiligen Vorgesetzten funktioniert, aber auch – und das ist wichtig – dass jeder Téléarbeiter dem entsprechenden Kollektivvertrag des Unternehmens unterliegt. Daraus ergibt sich, dass die Homeworker genau die elben Rechte und Pflichten haben wie alle anderen Beschäftigten eines Unternehmens X. Interessant zu wissen ist außerdem, dass die oben genannte Konvention eine Anpassungsfrist sowohl für die Beschäftigten als auch für das Unternehmen vorsieht. Diese Frist kann 3 bis maximal 12 Monate betragen. Die Tatsache, dass Homeworking immer auf freiwilliger Basis funktionieren muss, rundet das Bild ab.
Risiken
Nun ist allerdings zu befürchten, dass keine oder nur wenige dieser Bedingungen überprüft oder eingehalten wurden. Das wäre aus verständlichen Gründen wohl auch kaum möglich gewesen. Tatsache bleibt aber, dass auch weiterhin viele Beschäftigte von ihrem Homeoffice aus arbeiten. Denn was von 0 auf 100 einigermaßen funktioniert hat, muss nicht zwangsläufig umgekehrt genau so funktionieren. Es ist wichtig eine objektive Bilanz zu ziehen, um alle Fakten auf den Tisch zu bekommen. Es ist genauso wichtig, die richtigen Lehren aus dieser Zeit zu ziehen. Da darf nichts geschönt oder unter den Tisch gekehrt werden. Ja es stimmt: Homeworking hat viele Vorteile, sowohl für die Beschäftigten, wie auch für die Unternehmen. Und in Corona-Zeiten ist man geneigt das Provisorium etwas länger dauern zu lassen. Schließlich gibt es viel weniger Staus auf unseren Straßen und der entsprechende CO2 Ausstoß ist wohl um einiges gesunken. Zwangsläufig.
Wer meint, dass wir aus den Erfahrungen mit Homeoffice während dieser Krise ableiten können, dass die flächendeckende Téléarbeit für sowohl Gebietsansässige wie Grenzgänger die Lösung für unsere Stau- und Umweltprobleme sein kann, irrt aber. Und zwar gewaltig! Erstens, kann oder will nicht jede(r) Homeoffice machen. Zweitens, wird es nicht reichen, und drittens es ist zu simpel. Und viertens, birgt ein solches Vorgehen enorme Risiken. Zuvorderst für die Beschäftigten im Homeoffice. Die jetzigen und die zukünftigen. Das Risiko, dass es in näherer oder entfernter Zukunft zwei Kategorien von Beschäftigten geben wird: die Stammbelegschaft die auch weiterhin physisch im Betrieb präsent ist, und eben die anderen. Diese Anderen riskieren über kurz oder lang sozusagen ausgelagert zu werden. Und riskieren damit irgendwann ein ähnliches Dasein zu fristen wie etwa Mitarbeiter von digitalen Plattformen, scheinselbstständig und selbstausbeutend. Unsere Verkehrsprobleme bekommen wir nur gemeinsam in den Griff, dadurch dass wir vermehrt die Leute von der Straße, sozusagen aus ihren Autos heraus, auf den öffentlichen Gemeinschaftstransport bringen. Das ist nachhaltig, ökologisch sinnvoll und bringt jedem einzelnen etwas. Der zu erwartende gesamtgesellschaftliche Mehrwert erfordert zum Teil radikale Maßnahmen. Diese zu ergreifen erfordert wiederum ein hohes Maß an politischem Mut.
Umdenken jetzt
Diese Krise hat gezeigt, dass viele Leute dazu befähigt sind, wenn es drauf ankommt, ihr Handeln und ihre Gewohnheiten in Frage zu stellen. Es ist nicht zu früh schon heute die – nennen wir sie mal „Post-Corona“ – Zeit nach dem Lock-Down vorzubereiten. Dieses Mal müssen wir agieren und nicht nur reagieren. Und die Zeit drängt. Viele Krankenhäuser fahren ihre Kapazitäten wieder auf Normalbetrieb runter. Das mag auf den ersten Blick logisch erscheinen, und verschafft den Pflegekräften und Ärzten hoffentlich eine Verschnaufpause. Doch die brennenden Fragen sind damit nicht gelöst. Es hat sich während dieser Krise gezeigt, dass unser Gesundheitssystem schlecht vorbereitet war. Dieses Problem hat Luxemburg gemeinsam mit seinen direkten Nachbarn. Diese Tatsache sollte uns allerdings nicht beruhigen. Luxemburgs Gesundheits- und Pflegesektor ist personell stark unterbesetzt. Dass dieser wesentliche Bereich personell aufzustocken ist muss eine der Lehren sein, die aus der Pandemie gezogen werden und muss damit oberste Priorität haben. Es ist kein Geheimnis, dass gerade in Gesundheit und Pflege die Krankenzahlen riskieren durch die Decke zu schießen.
Die besorgniserregende Zahl von Burn-Outs im Gesundheits- und Pflegsektor spricht eine unmissverständliche Sprache. Was muss eigentlich noch geschehen damit doch noch etwas passiert? Werden die dringenden Probleme angepackt, oder wird so wie in der Vergangenheit darauf vertraut, dass sich die Wogen wieder glätten und man zur Tagesordnung übergehen kann? Unser Gesundheitswesen ist keine Ware genauso wenig wie unsere Gesundheit selbst. Unser Gesundheits- und Pflegesystem gehört zu 100 Prozent in öffentliche Hand! Bestrebungen weitere Teile aus diesem System heraus zu brechen müssen konsequent unterbunden werden. Wo ist eigentlich das Gesetz zur großherzoglichen Verordnung vom 17. Juni 1993, welche die Liste der medizinischen Geräte die NICHT von Ärzten oder Zahnärzten angeschafft werden dürfen bestimmt? Oder anders ausgedrückt: wo ist das Gesetz, dass die Liste jener Geräte die ausnahmslos nur in und von Krankenhäusern betrieben werden dürfen festlegt? Es gibt ein Urteil des Verfassungsgerichtes vom 5. Juli 2019, in dem einem Radiologen der gegen die oben genannte Verordnung geklagt hatte, darin Recht gegeben wird, dass eine großherzogliche Verordnung allein nicht ausreicht um eine solche Liste bindend zu definieren. Während man sich in politischen Kreisen schwer tut auf dieses Urteil zu reagieren, werden anderenorts bereits Fakten geschaffen. Eine Spaltung unseres Gesundheitssystems und eine zementierte Zweiklassenmedizin wird die Folge sein. Das wollen viele nicht …. außer denjenigen, die es sich leisten können.
Jean-Claude Thümmel 06/05/2020