Blockupy Frankfurt: das Potential einer nicht existenten Bewegung.
Der Wunsch nach einer europäischen Revolutionswelle nach arabischem Vorbild, der irgendwann die europäische radikale Linke kurzzeitig erhellte, wirkt im Nachhinein wie das Licht einer Sternschnuppe und ermöglichte noch einen letzten Wunsch an eine eigentlich doch tote Idee. Der Wunsch lautete: lasst uns noch mal unser Ansehen verteidigen und Stärke demonstrieren.
Sowohl das Ansehen wie die Stärke waren jedoch bereits lange verloren. Niemand glaubt wirklich an einen Systemwandel und keine Staatsmacht, vielleicht mit Ausnahme Griechenlands, hat wirklich Angst vor der radikalen Linken. Es geht kein Gespenst um in Europa, jedenfalls kein linkes mit Manifest und klarer Strategie. Wohingegen es nach den G8-Gipfeln in Genua, Annemasse und Heiligendamm nicht nur realistisch erschien ein anti-neoliberales Bündnis das sich fest in der breiten Öffentlichkeit verankert aufzubauen, war dies bereits im Jahr 2010 sowie den Folgejahren in weite ferne gerückt.
Der Vergleich einiger JournalistInnen mit der Zeit vor 1914, in Bezug auf den Umgang mit modernen Technologien, kollektiver Praxis und Kultur sowie individuellem Handeln, scheint im Nachhinein bestenfalls als Versuch eine self-fullfilling prophecy ins Rollen zu bringen.
Self-fullfilling Prophecy?
Mehrere Großdemonstrationen quer durch Europa können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl eine Diskursänderung wie auch ein breites, populäres Aufbegehren in weite Ferne gerückt sind. De facto fehlt es Blockupy aber nicht nur an einer populären Masse, sondern auch an organischen Intellektuellen sowie an einem attraktiven Außenbild, einer klaren Vision, einem Gegenentwurf oder mindestens einem Aushängeschild das proeuropäische reformistische Alternativen wie die eines Jürgen Habermas übertreffen.
Blockupy ist nach wie vor eine Praxis und ein Wunsch. Er kann zu Weilen mehrere Tausend Menschen mobilisieren, die Innenstädte großer Metropolen stundenweise lahmlegen und symbolische Zeichen setzen. Mehr als die Angst vor gebrochenen Fensterscheiben und beschmierten Wänden muss der Kapitalismus aber wohl zurzeit nicht haben.
Die deutsche „Zeit“ brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Misst man die Erfolge der Proteste also an den höchsten Ausschlägen der Aufmerksamkeitskurve, war Blockupy erfolgreich. Allerdings nur dank freundlicher Mithilfe ihrer Gegner, Polizei und Politik.“ In der Tat haben polizeiliche Willkür, Übergriffe und die Blockade von Demonstrationen für kurzzeitige mediale Aufregung gesorgt.
Die Polizei, dein unfreiwilliger Helfer
Die Äußerungen der Frankfurter Grünen und der CDU unterstrichen nochmals, dass Kapital und bürgerliche Parteien Hand in Hand gehen. Die Solidarität, vor allem der deutschen Linksparteien, sowohl in der Planung wie auch der Nachbereitung, war dabei sicherlich eine Unterstützung und ermöglichte die Übertragung in den politischen Mainstream bis hin zu Bevölkerungsschichten die sonst wohl nicht mit der Kritik der Protestierer an der europäischen Sparpolitik in Kontakt gekommen wären. Das Aufgreifen durch die Medien der von der herrschenden Politik provozierten Skandale rund um die Proteste waren ein weiterer Aspekt.
Mit dem Verlöschen des letzten Fernsehbildes stand die Bewegung jedoch wieder alleine da und es stieg die, schon vorher schwelgende, Kritik der Selbstbespaßung welche fleißig in mehreren internationalen Treffen reflektiert wurde. Nun stehen Mitte November neue Proteste an und so manch einer stellt sich wohl die Frage warum es nicht gelingen kann einen breiten Krisenprotest zu etablieren.
Typisch Blockupy: Anfang 30, gebildet, unorganisiert?
Fundamental scheinen für die Blockupy Bewegung weiterhin typische sozio-demographische Faktoren wie Alter, Grad der Ausbildung, politische Einstellung und Beschäftigungstypus der AktivistInnen zu spielen. Die Otto Brenner-Stiftung veröffentlichte hierzu eine empirische Studie unter dem Namen „Wer sind die 99% – wer sind die AktivistInnen und AnhängerInnen der Occupy – Proteste“ deren Resultate sich laut Oliver Nachtwey, einer der Forscher des Teams, auch auf die Proteste in Deutschland übertragen lassen.
Dazu kommt die abschreckende, wenn auch kurzfristig medialhilfreiche Wirkung von Polizeigewalt und Verfolgung durch die Justiz. Wer mit Anfang dreißig prekär beschäftigt ist und eine Familie zu versorgen hat wird sich nicht intensiv mit dem Aufbau irgendwelcher Alternativen zum Kapitalismus oder einer Analyse seiner Funktionsformen beschäftigen.
Insbesondere dann nicht, wenn es ihm, in Deutschland zumindest, im internationalen Vergleich relativ gut geht. Im Gegensatz zu anderen Themen, wie beispielsweise Gentrifizierung, scheint Kapitalismus keine greifbare Gefahr für die Nachbarschaft zu sein.
Für die Mobilisierung im Herbst spielen aber noch zwei weitere Faktoren eine bedeutende Rolle: die populäre Eventualisierung sowie die mangelnden Gemeinsamkeiten der sogenannten Multitude. Blockupy Frankfurt ist reizvoll. Wie oft kann man schon das Gebäude der EZB blockieren, eine Bankenmetropole mindestens kurzeitig lahmlegen und im Auge des Wirbelsturms „Capitalism kills“ sprühen?
Wo sind die Massen?
Aber wie reizvoll ist noch die Verhinderung eines Umzugs einer Bank der dies dann doch im Endeffekt relativ egal zu sein scheint in ein Gebäude was seit Monaten weitestgehend unbehelligt vor den Augen der Öffentlichkeit erbaut wird, dessen genaues Einweihungsdatum noch nicht eindeutig feststeht und deren Gäste bei der Einweihungsfeier sich die Proteste wohl nicht mal im Fernsehen aus Berlin, Paris oder London anschauen werden? Blockupy Frankfurt hat für einen Großteil an linken Eventhoppern einfach an Attraktivität verloren und daran wird der nicht heiß werden wollende Herbst wohl nichts ändern.
Dazu kommt, dass sich weder die Profi-AktivistInnen großer NGOs oder Gewerkschaften, noch ihre Mitglieder, geschweige denn von Kirchen oder anderen organisierten Großverbänden, dazu bewegen lassen auch nur öffentlich ihre Sympathie mit einem Bündnis aus Kapitalismuskritikern aus ganz Europa zu bekunden. Ohnehin ist das Verhältnis der radikalen Linken zur Gewerkschaften und anderen doch sehr bürgerlichen Organisatioren zurzeit angespannt.
Kleinere Gruppen haben weder das Geld noch die Zeit sich in hoher Frequenz durch Europa zu bewegen um an Treffen teilzunehmen. Teilweise fehlt es an Expertise und natürlich an der Mobilisationskraft. Ihre Stärke liegt in der Organisation von Treffen, Camps und beim Anstoßen von Debatten. Ohne die großen Verbände werden jedoch weder Massen erreicht noch mobilisiert und man kommt nicht daran vorbei sich mit fundamentaleren Fragen zu beschäftigen und neue Aktionsformen auszuprobieren.
Eine Win-Win Situation!
Genau dies kann aber zur Stärke werden. Der Zwang zur Selbstreflektion und das öffentliche Austesten von neuen Formen der Praxis bergen einen gewissen Überraschungseffekt den es zu zünden gilt. Die Aktionstage setzten nicht grundlos einen Schwerpunkt auf Diskussion und Vernetzung.
Die OrganisatiorInnen der Blockupy Proteste im November haben es noch nicht vermocht sich von dem was Gramsci als Bewegungskrieg bezeichnete hin zum Stellungskampf zu entwickeln. Es wird sicherlich ein Punkt sein wie dieser Sprung gelingen kann.
Alle historisch erfolgreichen Kampfverbände haben sich irgendwann im Laufe ihrer Entwicklung dazu durchgerungen sich feste Strukturen zu geben. In der radikalen Linken scheint dies ein immanenter Widerspruch zu sein den es zu überwinden gilt ohne dabei seine eigenen Grundsätze zu verraten.
Dabei gibt es gerade in Deutschland Bewegung in diese Richtung. Die Auflösung Avantis und die Aufforderung sich in der Interventionistischen Linken zu engagieren können hier als praktisches Vorbild gelten wie beides, radikale Grundsätze und Struktur, so zusammen schmelzen können, dass daraus Stärke gewonnen werden kann und Impulse entstehen.
Wie dringend diese Transition ist, weist ein Blick auf die radikale Rechte. Bei ihr ist nämlich gerade Gegenteiliges zu sehen. Nicht nur in Frankreich besteht mit dem FN eine staatstragende Alternative in den Startlöchern, auch in Deutschland wächst die euroskeptische AfD auf zweistellige Werte an.
Die Mobilisierungsfähigkeit hat dabei sicherlich nachgelassen, der Dresden Holocaustdenkmal ist wohl aus der Mobi-Agenda der europäischen Rechten endgültig gestrichen, das verhindert jedoch nicht, dass Ausweichmöglichkeiten gesucht werden und eine so empfundene steigende islamistische Gefahr die Möglichkeit bietet neue Kraft auf der Straße zu schöpfen.
Konkrete Erfolge bleiben aus
Ein ganz anderer Diskussionsschwerpunkt und Auftrag liegt in der Schaffung einer Internationalität. Das Logo Occupy, respektive Blockupy, reichte anfangs sicherlich als Marke zur massenfachen Mobilisierung. Die konkreten Erfolge blieben jedoch aus. Wir sind weit entfernt von einer europäischen Gegenhegemonie. Noch erschreckender ist jedoch, dass wir ebenfalls weit entfernt von einer europaweiten Koordination und Aufbaustruktur dieser sind.
Somit versprechen die Vorbereitungstreffen in Brüssel und Berlin bei denen internationale Gruppen aus ganz Europa teilnehmen, mindestens, dass der Ernst der Lage erkannt wurde und dass der Wille besteht diese koordiniert und strukturiert aufzubauen. Auch wenn nach Außen noch wenig durchdringt, so wecken die Bilder aus Neapel der Proteste gegen die neoliberale Krisenpolitik der EZB sowie vereinzelte Stimmen aus dem Organisationsbündnisses jedoch Hoffnung, dass diese Arbeit durchaus Früchte tragen wird.
50 Organisationen aus 15 verschiedenen Ländern nehmen an den Treffen teil, verlautete es in einem Interview einer griechischen Genossin im Neues Deutschland, die Stimmung sei gut und man komme voran.
Man kann nur gewinnen
Letztlich wird vom Aufzeigen von Vielfalt und Stärke jedoch auch ein Motivationsschub erwartet. Nichts wird mehr Druck auf andere, noch kritisch distanzierte, potentielle Partner haben als erfolgreiche Aktionen die nicht nur mediale Aufmerksamkeit schaffen sondern auch klare Statements postieren. Somit kann gerade die prognostizierte übersichtliche Zahl an TeilnehmerInnen nur die Möglichkeit des Gewinnes sein, denn entweder kommen mehr Menschen als erwartet, was als Erfolg der totgesagten Bewegung interpretiert werden kann, oder es wird mehr Raum geben sich auf die praktische Beantwortung fundamentaler Fragen zu konzentrieren. Beides wären wichtige Bausteine das eigentliche Event namens Verhinderung des EZB-Umzugs, der vorraussichtlich zu Beginn nächsten Jahres stattfinden wird, zum Startpunkt einer europäischen Gegengemeinschaft werden zu lassen.