Die Artikel von: Sebastian
Der Kampf gegen Rassismus in Luxemburg und weltweit muss verstärkt werden
déi Lénk unterstützen die Protestbewegungen in den USA und Europa und fordern von der luxemburgischen Regierung sich auch vor Ort stärker gegen Rassismus einzusetzen.
George Floyd wurde am 25. Mai vom amerikanischen Staat ermordet: er starb nachdem ein Polizist 8 Minuten und 46 Sekunden lang auf seiner Kehle kniete, während Floyd vergeblich flehte: „I can’t breathe“. Breonna Taylor, eine 26-jährige Krankenschwester, wurde am 13. März versehentlich in ihrer Wohnung von der Polizei erschossen. Eric Garner wurde am 17. Juli 2014 vom amerikanischen Staat ermordet: er starb nachdem ein Polizist ihn minutenlang im Würgegriff hielt, während Garner 11-mal vergeblich flehte „I can’t breathe“.
Die Menschen in den USA gehen nicht wegen einzelner rassistischer Zwischenfälle in Massen auf die Straßen. Sie demonstrieren gegen den die USA seit jeher bestimmendem strukturellen Rassismus, und vor allem gegen die andauernden und zahllosen Entmenschlichungen und Ermordungen von Afro-Amerikaner.innen durch den Staat und selbst-ernannte weiße Zivilwachen.
Rassismus ist nicht nur eine persönliche Einstellung, sondern ein Geschäftsmodell in dem nicht-weiße weniger Wert sind als weiße Menschen, und ein Gesellschaftsmodell in dem diese Menschen nur Mittel zum Zweck sind. In den USA, und auch in Europa.
Keine Bevölkerungsgruppe der USA wird öfter grundlos Opfer von Polizeigewalt als Afro-Amerikaner.innen. Keine Bevölkerungsgruppe wird öfter durch eigens auf sie zugeschnittene Gesetze in das privatisierte Gefängnissystem befördert, in dem die USA rund ein Viertel aller Gefangenen der Welt hält. Die amerikanische Polizei arbeitet schon seit Jahrzehnten mit militärischem Material. Gekauft um der Waffenindustrie Aufträge zuzuschanzen, gerechtfertigt durch eine „schwarze“ Gefahr die unbedingt weiterbestehen und durch mediatisierte Einsätze inszeniert werden muss um auch weiter aus Waffen und dem „prison-industrial complex“ Kapital schlagen zu können. Wir erinnern uns an die gepanzerten Fahrzeuge in Ferguson, Missouri, 2014, nachdem die Polizei Michael Brown anschoss und 4 Stunden lang auf der Straße verbluten lies. Spätesten seit Präsident Trumps Drohung gegen den Willen der Gouverneure das Militär in die Städte zu senden um das Volk zu „dominieren“ erinnern wir uns auch an die Panzer in den brennenden Straßen von Detroit 1967 und an die Unruhen von Los Angeles 1992. Wir erinnern uns aber auch an die in Europa immer wieder beschworene Gefahr durch Geflüchtete und an das vor allem in Zügen, Bahnhöfen und Flughäfen angewandte „racial profiling“, bei dem die wahrgenommene „Rasse“ reicht um eine Polizeikontrolle zu rechtfertigen. Wir erinnern uns an die Militarisierung des Mittelmeeres die jedes Jahr Hunderte Tote fordert. Wir erinnern uns an die von der Polizei in Deutschland getöteten Oury Jalloh und Laya-Alama Condé. Wir erinnern uns an Amadou Koumé und Adama Traoré in Frankreich. Wir erinnern uns an die zahllosen anderen die auch in Europa aufgrund ihrer „Rasse“ von der Polizei verfolgt und ermordet wurden.
Keine Bevölkerungsgruppe der USA war und ist stärker von CORONA betroffen als Afro-Amerikaner.innen. Gleiches gilt für Schwarze in England. In Deutschland wurden zu Beginn der aktuellen Infektionswelle überfüllte Flüchtlingsheime von der Polizei einfach von der Außenwelt abgeriegelt, während im Innern das Virus grassierte, zahllose Menschen infizierte und tötete. In Luxemburg mussten Geflüchtete das Confinement teils in fensterlosen Räumen in Containern aussitzen.
Keine Bevölkerungsgruppe der USA wird wirtschaftlich stärker ausgebeutet als Afro-Amerikaner.innen. Aber auch auf Europas Plantagen werden „illegale“ Migrant.innen aus Sub-Sahara-Afrika in mitunter Sklaverei-ähnlichen Verhältnissen ausgebeutet, damit in Luxemburg und anderswo Lebensmittel billig bleiben. Die Staatsgewalt, in Italien etwa, drückt dabei nicht nur ein Auge zu, sondern hilft Arbeiter.innen die ihre Rechte einfordern abzuschieben. Die 2018 veröffentlichte europäische Studie „Being Black in Europe“ und Folgeveranstaltungen zu „Being Black in Luxembourg“ haben erst vor kurzem wieder aufgezeigt, dass auch in Luxemburg der Rassismus, insbesondere gegen Schwarze, nicht nur in den Köpfen, sondern auch in den gesellschaftlichen Verhältnissen tief verwurzelt ist. Auch hier zulande stoßen die Diskriminierung und Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt besonders auf.
Der auf Video festgehaltene Mord an George Floyd beweist abermals, dass Rassismus weiterhin tötet. Die Mobilisierungen für Gerechtigkeit für George Floyd und andere Opfer von Polizeigewalt zeigen aber auch, dass dieser Rassismus nicht weiter hingenommen wird. Der Weckruf „Black Lives Matter!“ erinnert uns daran auch in Europa und in Luxemburg gegen die strukturelle Ausbeutung nicht-weißer, und insbesondere schwarzer Menschen zu kämpfen. déi Lénk sind solidarisch mit den Protestbewegungen in den USA. déi Lénk unterstützen auch die Bewegungen von Afro-Descendants in Luxemburg und kämpfen gegen Rassismus und Faschismus in jeder Form, zu jeder Zeit, überall. Deswegen fordert déi Lénk die luxemburgische Regierung dazu auf, sich in der Welt und vor Ort gegen jede Form von Diskriminierung, und besonders gegen strukturellen Rassismus einzusetzen. Unsere Mitmenschen dürfen nicht weiter zum Gegenstand oder zur Ware reduziert werden, zur ausgebeuteten unsichtbaren Arbeitskraft, zum Alibi für die Anschaffung von Polizei- und Überwachungsmaterial.
déi Lénk fordern insbesondere:
- Regierung und Parlament müssen, auf direktem Wege und über die Europäische Union, die USA für ihren strukturellen Rassismus anprangern und sich bedingungslos für den Schutz der Demonstrierenden einsetzen
- Regierung und Parlament müssen sich klar und deutlich gegen eine Militarisierung des Mittelmeeres einsetzen und für eine Stärkung der humanitären Strukturen an den europäischen Außengrenzen
- Regierung und Parlament müssen wirtschaftliche Kontrol- und Strafmaßnahmen zum Schutz von Minderheiten schaffen. Der Handel mit Waren die unter menschenverachtenden Bedingungen in Europa oder andernorts hergestellt werden muss verboten und Staaten die dies unterstützen vor der europäischen Gerichtbarkeit verantwortlich gemacht werden
- Regierung und Parlament müssen sich gegen Diskriminierungen im Bildungssystem einsetzen, welches nicht-weiße Menschen aufgrund von rassistischen Stereotypen vorwiegend in Berufsausbildungen mit geringeren Einkommensperspektiven orientiert, und aktiv Maßnahmen für mehr Diversität und Integration in allen Bildungsformen und auf allen Bildungsstufen unternehmen
- Regierung und Parlament müssen wirksame Kontrol- und Strafmaßnahme gegen Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt schaffen, auf dem Geflüchtete und Nicht-Weiße Menschen weiterhin aufgrund von Herkunft und Identität benachteiligt werden
- Regierung und Parlament müssen sicherstellen, dass auch in Luxemburg kein racial profiling praktiziert wird
- Regierung und Parlament müssen das Centre pour l’égalité du traitement endlich zu einer wirkungskräftigen Institution machen, unter anderem dadurch, dass sie dessen Budget erhöhen, eine schnelle und aktive Mitarbeit in Untersuchungen des CET unter Strafe zur Pflicht machen und dem CET das Recht geben gegen Diskriminierung vor Gericht zu klagen
Rassismus ist nicht nur eine Meinung, sondern vor allem auch ein System wirtschaftlich motivierter Ausbeutung und Ausgrenzung. Aufklärung und Bildung sind wichtige aber ungenügende Instrumente zur Bekämpfung von Rassismus. Deswegen muss der Kampf gegen den Rassismus – in den USA, in Europa, in Luxemburg – immer auch ein Kampf dagegen sein, materiellen oder persönlichen Mehrwert aus der Entwertung anderer zu ziehen.
Sebastian Weier 05/06/2020
Krise und Notwendigkeit von Parteien und Kameraden
Partei oder Bewegung? Kameraden oder Alliierte? Klassenkampf oder Konvergenz der Kämpfe (convergence des luttes)? Seit Jahrzehnten wird die Partei als Institution grundlegend in Frage gestellt. Sie sei nicht nur zu unflexibel, sondern beharre zudem auf überholten Vorstellungen von Identität und Gemeinschaft.
Was ist das schon, der Arbeiter? Die glorifizierende Verallgemeinerung einer weißen und männlichen Situation im Kapitalismus, die – um nur eine der vielen Kritiken zu erwähnen – unentlohnte aber keineswegs minder entmenschlichende Ausbeutung wie Haus- und Pflegearbeit oder (post-)koloniale Zwangsarbeit nicht erfasse. Zudem bedeute der Anstieg des Anteils von Dienstleistungen in westlichen Volkswirtschaften, dass die Arbeiterschaft nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung ausmache und sich nur mit ihren Stimmen keine Wahlen mehr gewinnen läsen. Eher wird heutzutage die Arbeiterschaft als eine untere Mittelschicht mit rechts-nationalistischen Tendenzen dargestellt, denn als Einheit jener, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten. Diese Zuschreibung scheint Migrierten und Geflüchteten, Frauen und anderen nicht weiß-männlichen „Minderheiten“ vorbehalten, deren revolutionäre Veranlagung bisweilen ebenso romantisch verklärt wird, wie die Prekarisierung der Arbeiterschaft ignoriert wird.
Neue Begriffe: Alliierte statt Kameraden
Im Zuge dieser veränderten Wahrnehmung von Begriffen wie Arbeiter und Klasse, und in Folge der feministischen, post-kolonialen und post-materialistischen (z.B. Naturschutz) Bewegungen der 1960er und 70er Jahre, veränderten sich auch das Verständnis des Kameraden und des Klassenkampfes. Weg von der Einheit der Unterdrückten (Klasse), der Solidarität unter ihnen (Genossen, Kumpel, Kameraden), sowie deren Widerstand (Klassenkampf) gegen die Unterdrücker (das Kapital), hat sich linkes Denken hin entwickelt zu Begriffen wie Alliierte (statt Kameraden), Multitude (statt Klasse), convergence des luttes (statt Klassenkampf), Diskurs (statt dialektischer Materialismus) und Hegemonie (statt Macht).
Neue Strategie: Mehr Spontaneität
Diese Neubestimmung linker Grundbegriffe veränderte auch linke Strategie. Statt bereits bestehende Klassen in den Kampf zu führen, müssen zunächst einmal Gemeinschaften und Allianzen geschaffen werden. Statt Arbeit und Kapital als Hauptwiderspruch zu sehen, aus dem alle anderen Diskriminierungen (Sexismus, Rassismus …) als Nebenwidersprüche folgen, die sich mit dem Ende der Klassendialektik automatisch auflösen, gilt es zusehends einen Kampf an mehreren Fronten zu führen, zu denen auch ganz grundlegend linke Selbstkritik zählt. Dadurch geriet die Partei als Institution zunehmend unter Beschuss. Einerseits reproduzierte sie in sich selbst in weiten Teilen die weiß-männlich-akademische Dominanz die am System kritisiert wird. Andererseits fehlte ihr oft die konzeptuelle und organisationale Dynamik um mehr als nur die Avant-Garde einer bestimmten sozio-ökonomischen Gruppe zu sein, was oft zu Klientelismus (die Bevorzugung einer Gruppe vor einer anderen) und Entrismus oder konter-revolutionärer Klüngelei führte (Old-Boys-Klubs in denen Gewerkschaften und Parteien sich mit selbst-identifizierten linken Regierungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg verständigten).
Die sich als Alternative zu den verknöcherten Partien formierenden sozialen Bewegungen verstärkten sich nach der Jahrtausendwende durch die Verbreitung des Internets, welche ihnen erlaubte einen fehlenden Apparat (lokale Büros, Parteizeitungen, usw.) durch digitale Strukturen zu ersetzen. Eine Welle populärer Ereignisse belebte spontanistische Ideen von Revolution und Wandel: Occupy, der arabische Frühling, Maidan, Gezi Park, 15-M, Nuit debout … Hier wurde die Konvergenz der Aufstände wörtlich: statt durch Parteistrukturen gestaltet zu werden, versammelten sich Menschen mit unterschiedlichen Anliegen an konkreten Orten um trotz bisweilen unvereinbarer Agenden gegen den gemeinsamen Gegner aktiv zu werden.
Die Rückkehr der Partei
Dieser Höhepunkt markierte jedoch zugleich eine radikale Wende im spontanistischen Allianzdenken. Zwei Lektionen von Bewegungen wie Occupy waren, dass diese ohne eigene Strukturen entweder von anderen vereinnahmt werden oder sich nach der anfänglichen Euphorie und dem Ende der räumlichen Konvergenz wieder auflösen. Deswegen wurde bereits während 15-M und Nuit Debout versucht Möglichkeiten der Kontinuität zu denken und zu schaffen. Und so die Partei und der Kommunismus neu entdeckt. Parteien wie Podemos entstanden, Frédéric Lordon schrieb vom Imperium, Autorinnen wie Jodi Dean veröffentlichten grundlegende Texte zur Notwendigkeit gerade einer kommunistischen Partei. Doch die vorgeschlagenen Parteienmodele waren alles andere als einheitlich.
Auf der einen Seite entstanden verstärkt Plattformparteien (Podemos, Piraten, La France Insoumise, M5S …), die sich oft selbst nicht als Partei, sondern als Bewegung präsentieren und traditionelle Parteistrukturen und -dynamiken zu vermeiden versuchen. Niemand muss zu langweiligen Kreisgruppensitzungen, niemand muss Satzungsordnungen debattieren, es reicht bei Einzelaktionen und vor allem beim Wahlkampf und auf den sozialen Medien dabei zu sein. Weniger Disziplin, weniger Unterordnung der eigenen Individualität unter ein Parteiprogram, mehr Spontaneität und activism-on-demand. Aber dass sich nur wenige in den Strukturen engagieren führt nachweislich auch zu weniger interner Demokratie: weniger Mitsprache, weniger Kontrolle, weniger Einfluss, weniger selbstkritische Debatte … und mehr Populismus und charismatische Parteiführer.innen.
Auf der anderen Seite entstanden Bewegungsparteien, die sich in sozialen Bewegungen verankern, zugleich aber auch traditionelle Parteistrukturen (z.B. Orts- und Arbeitsgruppen) erhielten oder aufbauten. Diese Parteien vermeiden den Klientelismus des 20ten Jahrhunderts und definieren sich nicht mehr als Repräsentanten nur einer einzigen Klasse, sondern als pluralistische Sammlungsbewegungen. Trotz dieser Arbeit in und mit Allianzen, sehen sie soziale Kämpfe aber nicht als konvergierendes Nebeneinander, sondern als ein gemeinschaftsbildendes und -stärkendes Engagement, und damit eben jene gelebte Solidarität und Kameradschaft die linke Parteien für die Gesellschaft als Ganzes anstreben.
Seid Kameraden!
In Zeiten einer weltweiten Pandemie und des social distancing muss diese rezente Veränderung von Form und Notwendigkeit der Partei, sowie des programmatischen Aufrufs Kameraden statt nur Alliierte oder Sympathisant.innen zu sein hervorgehoben werden. Wir erfahren unsere Kameradschaft gerade auch durch unsere geteilte Verletzbarkeit angesichts der kapitalistischen Zerstörung der seit den Weltkriegen durch den Kampf für den Sozialismus geschaffenen Schutzinstitutionen (wie z.B. dem allgemeinen Gesundheitswesen). Wie Kameraden immer schon verlangten mehr als nur Kanonenfutter und Konsumenten zu sein, müssen wir jetzt aktiv bleiben um auch mehr als nur Patienten zu sein, denen der Staat Atomisierung und Digitalisierung als Medizin verschreibt. Wie nur selten zuvor, ist es heute notwendig pluralistische und physische Gemeinschaft zu sichern und zu ermöglichen. Wie nur selten zuvor, sind heute die Partei als Form, der Sozialismus als Programm und Kameradschaft als Lebensweise notwendig. Damit die Öffentlichkeit die Sperrung des öffentlichen Raums überlebt, statt in kleine und kleinste identitäre Interessengrüppchen zu zerfallen. Damit die spontane Solidarität der Krisenzeiten sich in politische Veränderung und sozialen Wandel übersetzt. Die sozialistische Partei hat schon vor der Corona-Krise auf Grundlage unserer gemeinsamen Menschlichkeit argumentiert und agitiert. Während und nach der Krise muss sie diese Gemeinschaft weiter aktiv schaffen, unterstützen und mobilisieren. Und dafür braucht es Kameraden.
Sebastian Weier 25/03/2020