Europa und DIE LINKE
Auf dem Parteitag von „DIE LINKE“ wurde Gabi Zimmer mit deutlicher Mehrheit zur EU-Spitzenkandidatin gewählt. Im Vorhinein gab es innerhalb der Linken heftige Debatten über den Europa-Kurs der Partei. Die Vorsitzende der europäischen Linksfraktion über die EU-Skepsis ihrer Partei, Alternativen zur Schuldenpolitik und die Möglichkeiten einer sozialen Europäischen Union.
woxx: Im Vorfeld Ihres Parteitags gab es innerhalb der Linken heftige Debatten über den Europa-Kurs der Partei, insbesondere ihre Haltung zur EU. In der Endfassung des Programms ist die Passage, die EU sei „neoliberal, militaristisch und weithin undemokratisch“, nicht mehr enthalten. Was ist an dem Urteil falsch, die EU mache eine neoliberale Politik? Wie würden Sie die sogenannte „Rettungspolitik“ gegenüber Griechenland, Portugal, Spanien bezeichnen?
Gabi Zimmer: Die Debatte, die wir innerhalb der Linken in Deutschland führen, ist im Grunde ein Spiegelbild der öffentlichen Diskussion. Viele Menschen empfinden die EU aufgrund der europäischen Politik der letzten Jahre als äußerst problematisch, und niemand bestreitet, dass die EU in den letzten Jahren eine sehr neoliberale Politik betrieben hat. Die inhaltliche Auseinandersetzung ging um die Frage: inwieweit ist die EU alleine die Adressatin und reicht es aus, zu sagen, die EU ist neoliberal, militaristisch und undemokratisch? Wenn das alles ist, was wir zur EU sagen können, dann fragen sich die Menschen, weshalb sie überhaupt wählen sollen. Die Linke steht vor der Aufgabe, einerseits die Defizite der EU, ihre derzeit tatsächlich neoliberale Politik sehr konkret zu kritisieren. Auf der anderen Seite muss sie die Frage beantworten, wie bringe ich meine Kritik zum Ausdruck? Wie können wir zugleich deutlich machen, dass wir für eine Alternative stehen? Wenn ich in der EU einfach nur alles um 20 Jahre zurückdrehe, wird keineswegs alles wieder besser. Das ist eine Illusion. Aus meiner Sicht neigen manche Linke dazu, die Debatte um die Entwicklung der EU auf den Euro zu verkürzen und andere Aspekte zu ignorieren.
Woran liegt es, dass die Kritik der europäischen Linken an der „EU-Rettungspolitik“ als „Rettung von Banken und Finanzspekulateuren“ zwar öffentlich wahrgenommen wird, dass aber recht unklar ist, wie denn ein linker Weg zur Hilfe Griechenlands aussähe? Hat die europäische Linkspartei überhaupt ein Konzept oder eine Idee, was hier die konkreten europäischen Alternativen wären?
Wir haben von dem Moment an, als die Troika installiert wurde und mit ihren ersten Ideen zur Rettung Griechenlands aus der jetzigen Krise hervortrat, gesagt: das ist ein Weg, der ins Desaster führt. Das muss ich unserer Fraktion GUE/NGL – nicht zu verwechseln mit der Europäischen Linkspartei -, aber auch der Europäischen Linkspartei zugute halten. Inzwischen haben sich dieser Einschätzung ja auch viele angeschlossen, aber eine wirkliche Kurskorrektur ist nicht zu erkennen. Es gab bei einigen die Hoffnung, dass sich durch die Beteiligung der Sozialdemokraten an der deutschen Bundesregierung etwas ändern würde, aber sie wurden enttäuscht. Nun geht es darum, nicht nur zu sagen, was falsch ist, sondern gleichzeitig die Debatte zu führen, welche anderen Entwicklungswege es gäbe. Der sofortige Stopp der Austeritätspolitik, der Privatisierung von öffentlichen Gütern, Einrichtungen und Unternehmen muss verbunden werden mit der Einführung EU-weiter armutsfester sozialer Mindeststandards, Mindestlöhne und auch Mindest-Einkommen, wie einer auskömmlichen Rente.
Wie soll aber mit der Verschuldung Griechenlands, aber auch anderer EU-Staaten, umgegangen werden?
Für die Schuldenproblematik muss ein anderer Weg gefunden werden. Alexis Tsipras hat eine Schuldenkonferenz vorgeschlagen – ähnlich der von 1953 für die Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg. Alle Gläubiger sollen an einen Tisch und langfristige Schuldenmodalitäten vereinbaren, die es möglich machen, eine unabhängige Wirtschaft aufzubauen. Aus Sicht der griechischen Linken wäre das ein Weg, nicht nur für Griechenland, sondern auch für andere Staaten, die so hoch verschuldet sind. Gleichzeitig brauchen wir eine Diskussion um ein Schuldenaudit. Das heißt, es muss eine Bewertung durchgeführt werden, welche der Schulden, die dem Land auferlegt wurden, legitim sind und welche nicht. Ein Teil der Schulden rührt aus sinnvollen Investitionen her, die das Land weiterhin zur Entwicklung braucht. Aber warum soll die griechische Bevölkerung dafür haften, dass die Deutsche Bank und andere Banken in Griechenland spekuliert und sich dabei vertan haben? Außerdem muss die Europäische Zentralbank ein Mandat bekommen, dass sie direkte Kredite an Staaten vergeben darf. Der Umweg der Kreditgewährung über Privatbanken, die zum Teil vorher mit Staatsgeldern gerettet worden sind und jetzt mit hohem Zinsaufschlag Geld der EZB durchreichen, ist eine vollkommene Idiotie!
In der Vergangenheit gab es wenig konkrete gemeinsame öffentlichkeitswirksame Initiativen gerade für die finanzielle Solidarität mit Griechenland, es fehlte an einem klaren Bekenntnis: Ja, wir wollen für Griechenland zahlen! Wieso hat es dazu in der Vergangenheit keine Initiative der Linken gegeben?
Bei den vielen Versuchen von Solidaritätskampagnen, die es sehr wohl zum Beispiel gemeinsam mit griechischen Linken gegeben hat, musste zunächst ein öffentliches Meinungsbild durchbrochen werden. „Die Griechen sind doch selber schuld“, hieß es oft, und „wer sich so verschuldet hat, muss selbst die Konsequenzen tragen“. Es ist ja viel schwieriger darüber zu reden, was die Ursachen sind, wer eigentlich wirklich verantwortlich ist und warum bisher viel zu wenig Anstrengungen unternommen worden sind, die Krisengewinnler und die Krisenverursacher zur Kasse zu bitten. Auch in Griechenland. Dieser Stimmung etwas entgegenzusetzen, ist nicht einfach. Wir versuchen das mit vielen Einzelinitiativen, wir sind auch als Fraktion einige Male in Athen gewesen, um uns da mit Initiativen zu treffen, mit Gewerkschaften, mit Vertretern der öffentlichen Dienstleistungen, mit Leuten, die ihr Unternehmen besetzt haben, um es selbst in die Hand zu nehmen und weiterzuführen. Wir sind dann auch wirklich auf eine große Tour durch andere Länder gegangen, um immer wieder von unseren Erlebnissen, von unserer Sichtweise zu berichten und zu versuchen, etwas im Denken der Menschen zu bewirken. Angela Merkel ist in Deutschland doch letztlich gewählt worden, weil die Mehrheit der Auffassung war, dass sie alles richtig gemacht hat, dass ihre Politik gegenüber Griechenland richtig war. Das zu durchbrechen, ist schwer, aber notwendig.
Wie europäisch bzw. internationalistisch denkt denn DIE LINKE tatsächlich? Bei wirtschaftlichen Standortdiskussionen, wie z.B. um die Opel-Werke, ist DIE LINKE doch auch meist sehr national orientiert und setzt sich primär für die „eigenen“ Arbeitsplätze ein?
Das genau ist ja ein Punkt unserer Debatte gewesen, die es jetzt im Vorfeld des Parteitags gegeben hat – auch mit Blick auf das Europawahlprogramm. Auf dem Parteitag hat es mit sehr klarer Mehrheit Entscheidungen gegeben, die besagen, dass die Linke europäisch handeln und um diese Europäische Union kämpfen will. Wir wollen die EU verändern, wir wollen sie sozialer machen, sie soll eine Sozialunion bekommen, wir wollen die Verträge öffnen und entsprechende Sozialklauseln einführen. Wir wissen dabei genau, dass wir damit kein System ändern. Aber keiner kann die eigenen Probleme mehr im nationalen Rahmen lösen. Diejenigen, die über das große Kapital verfügen, sind intelligent genug, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Also müssen wir doch Einfluss darauf nehmen, dass die Bedingungen für die Eurozone sich verändern. Es geht eben darum, nicht nur die Währungs- und Wirtschaftsstabilität zu sichern, sondern auch die soziale und die ökologische Stabilität. Gerade bei ökologischen Standards sind wir natürlich auch oft im Dissens mit Teilen der Gewerkschaften, wenn die beispielsweise im Interesse der Autoindustrie in Deutschland ihren Einfluss nehmen und dann in das gleiche Horn stoßen wie die Konzernchefs der Autoindustrie, etwa was die Reduktion der CO2-Emmissionen und Ähnliches betrifft.
Die Europäische Union hat gerade hinsichtlich der Landwirtschaftspolitik große Bedeutung, in der linken Diskussion spielt dieses Thema jedoch fast keine Rolle. Ist das nicht implizit auch ein Zeichen der Ignoranz gegenüber den süd- und osteuropäischen Mitgliedsländern?
Ja, aber zum Teil auch gegenüber Ländern außerhalb der Europäischen Union. Denn durch die Art und Weise der Europäischen Agrarpolitik wird ein Wettbewerbsvorteil im Agrarexport geschaffen. Ich selbst war hier im Europaparlament Berichterstatterin zum Problem von Land-Grabbing und Nahrungsmittelspekulation. Ich habe immer versucht, den Zusammenhang herzustellen zwischen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, der gemeinsamen Energiepolitik und dem Thema der Ernährungssouveränität einschließlich der Mangelernährung in der Bevölkerung. In Deutschland wird die Debatte um die Agrarpolitik leider meist nur darum geführt, wie viele Subventionen Agrarbetriebe bekommen. Der große Bauernverband in der Bundesrepublik wird nun wahrlich nicht von der Linken beherrscht, und die Diskussionen, die die Bauernverbände betreiben, sind oftmals von den großen Agrarbetrieben bestimmt. Wir haben uns immer dafür ausgesprochen, dass Agrarpolitik verbunden sein muss mit ökologischen Kriterien. Eine unserer Grundforderungen – zumindest als PDS, bei der Partei DIE LINKE ist das leider etwas in den Hintergrund geraten – lautete immer, dass wir einen sozial-ökologischen Umbau wollen. Das Bewusstsein dafür ist leider noch nicht stark genug.
Welche institutionellen Reformen strebt die Europäische Linkspartei für die EU an, damit die stets geforderte größere Transparenz europäischer Entscheidungsabläufe Wirklichkeit wird?
Die Stärkung der Mitspracherechte der nationalen Parlamente und der Rechte des Europaparlaments, einschließlich des legislativen Initiativrechts, ist ein wesentlicher Punkt. Zu allen relevanten Themen soll es daneben EU-weite Volksentscheide bzw. Referenden geben, die dann auch in allen Ländern gleichzeitig durchzuführen sind. Über die weitere Entwicklung der EU soll unserer Auffassung nach ein europäischer Konvent diskutieren. Welches Ziel soll die Europäische Union in ihrem Selbstverständnis haben, wohin will sie eigentlich? Braucht die EU eine Verfassung? Sollen europäische Verträge wieder geöffnet werden, um eine andere Richtung einzuschlagen? Wogegen wir uns absolut wehren, ist dieser schleichende Umbau, den Merkel und andere vornehmen, also insbesondere die Regierungschefs der ökonomisch starken Länder. Sie sagen, in Zeiten der Krise muss alles schnell gehen, wir brauchen jetzt auf die Demokratie keine Rücksicht zu nehmen, wir wollen das hinter verschlossenen Türen klären. So werden neue Verträge und Instrumente beschlossen, die nicht im Europaparlament entschieden und diskutiert worden sind, Beispiel Fiskalpakt. Die Institutionen der Europäischen Union werden mit Aufgaben betraut, die ihnen normalerweise gar nicht obliegen und zu denen das Europäische Parlament noch nicht einmal befragt worden ist. Das ist aus unserer Sicht ein Bruch der europäischen Verträge.
Die Europa-Skepsis dominiert in weiten Teilen der Linken – auch in Frankreich und Luxemburg. Woran liegt es, dass innerhalb der Linken kaum ein positives Bild von Europa existiert? Am technokratischen europäischen Betrieb, an der Entferntheit der supranationalen Ebene vom normalen Leben, oder spielen auch nationale Borniertheiten eine Rolle?
Entscheidungen werden ja vor allem über die Regierungen getroffen, die sich in der Europäischen Union eine Vormachtstellung geschaffen haben und damit eine Spaltung in der Europäischen Union in Kauf nehmen. Eine Spaltung zwischen den Kräften des Zentrums und denen der Peripherie, dann zwischen Euro-Zone und Nicht-Euro-Zone. Dann glaube ich, dass durch das Fehlen einer Sozialunion die EU nur auf einem Bein steht. Es ist ja nicht nur der Streit um den Standort von Automobilproduzenten, sondern es gibt tatsächlich viele Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof auf Grundlage der Verträge, bei denen die sogenannten „Grundfreiheiten“ höher bewertet werden als der Sozialschutz. Viele erfahren die EU als Ausdruck von gesenkten Sozial- und Beschäftigungsstandards. Da sind die Leute frustriert und wütend. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Deshalb wollen wir eine Sozialunion, in der soziale Rechte über wirtschaftlichen Freiheiten stehen.