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JET LAG / OUT OF SYNC : Sind sie orientierungslos?

Orientierungslos?

Orientierungslos wird man beim Autofahren nachts im dichtem Nebel oder wenn Strassen schlecht beschildert sind.

Nun es handelt sich hier nicht um solch eine Art, sondern um eine gesellschaftliche Orientierungslosigkeit, hervorgerufen durch eine, sich rasant entwickelnde, mondialisierte und digitalisierte Welt.

Deshalb hat der Mensch seine innere biologische Uhr komplett umgestellt, gewollt oder ungewollt. Der Jetlag wird zu einem Dauerzustand. Es ergeht ihm genau so wie es einem Jumbojetpiloten ergeht, der dauernd den Erdball umkreist und so die Notion von Raum und Zeit verliert.

Die junge Generation ist noch viel mehr von diesem Zustand betroffen, ist sie doch dauernd Online, konnektiert über Facebook odere andere soziale Medien. Durch das unentwegte Hinschauen auf ihren Smartphone haben sie den Blick für ihre direkte Umge- bung verloren.

Somit ist die Thematik der Ausstellung, definiert von der Kuratorin Anouk Wies, aktueller und akuter denn je!

In den ausgestellten Werken werden Fragen aufgeworfen betreffend Wahrheit und Un- wahrheit, « fake » oder « nicht fake », Realität und Virtualität, Informationsüberfluss,
Schnelllebigkeit, Reizüberflutung, Richtunsglosigkeit sowie den Verlust der eigenen Identität.

Antworten auf all diese Fragen werden durch unterschiedliche künstlerische Medien wie z.B Malerei, Fotografie, Vidéo oder Installationen malerisch, plastisch oder konzeptionell zum Ausdruck gebracht.

Drei Antworten kann man aus den Werken deuten.

1.Zurück zur real erlebten Welt.

Daniel Wagener fotografiert analog und nicht digital, weil er so die Realität wahrhaftiger
und ehrlicher darstellen kann. Da man digital das Bild manipulieren kann via Fotoshop z.B, kann man dem Zuschauer eine virtuell verbesserte Welt vortäuschen.

Boulc’h und Schosseler hinterfragen in ihrer Installation « Genetic Bloom » die Echtheit von Bildern die tagtäglich, via Internet, auf unseren Computern landen. Als Beispiel zeigen sie uns genveränderte Gänseblümchen die sich anscheinend nach dem Nuklearunfall in Fokoshima entwickelt haben sollen.

Nora Wagner setzt sich mit der Poesie von Alltagsgegenständen auseinander, mit kleinen Dingen die sie in ihrem Garten entdeckt oder in der näheren Umgebung ihres Wohnsitzes. So unternimmt sie den Versuch sich von den immateriellen, virtuellen Bildern die uns eine falsche Realität vortäuschen, zu trennen.

Im gleichen Sinne zeigt die Installation « Le Château Rue Marie « von Remy Laporte eine Ansammlung von Relikten aus seinem eigenen Geburtshaus, die Ausgangspunkt seiner
Träume geworden sind. Auch er versucht sein Werk in eine persönlich erlebte Realität
einzuordnen.

Guillaume Barborini versucht in seiner konzeptionellen Arbeit « Approche de la Presqu’île »
die Gegenwart unmittelbar selber mit dem einfachen Mittel der Fusswanderung zu erleben. Wanderungen zwischen Städten, die später mit Hilfe der gesammelten GPS Daten, als graphische Linie auf grossflächigen Papieren festgehalten werden.

Chantal Maquet beschäftigt sich mit Motiven aus ihrer selbst erlebten, näheren Umgebung.
Bungalows aus ihrer Strasse , Bushaltestellen am Rande ihres Dorfes. Nachtaufnahmen und
Schicht für Schicht Malerei lassen eine Atmosphäre des Unheimlichen entstehen. Der Blick
des Zuschauers verirrt sich. Er verliert feste Bezugspunkte , so wie es einem auch in soge- nannten virtuellen Bildwelten ergeht.

2. Zurück zu einem entschleunigten Leben.

In ihrer Installation « Hide and Seek » versucht Marie-Luce Theis uns klar zu machen,
dass wir uns endlich von unserem Smartphone befreien sollen. Minimalismus und Asketismus sind der Schlüssel zum Erfolg. Nur so kann man sich der Übersättigung von Informationen und Reizen des Alltag entziehen. (Mondrian lässt grüssen!)

Entschleunigung der Zeit auch bei Aline Forçain, die für die Realisation eines Werkes mehrere Monate braucht. Es sind kleine minimalistische, schwarz-weiss Zeichnungen. Sie
reagiert so gegen die Überproduktion von Bildern, aber auch gegen die einfache und schnelle Produktion von digitalen Kunstwerken via « Copy-Paste » und « Plagiat » Methode.

Marianne Mispeläere präsentiert eine « in situ » also vor Ort realisierte Zeichnung mit dem Titel « mesurer les actes ». Sie drückt die Befürchtung aus, dass der Mensch von Morgen nicht mehr selber zu überlegen, unternehmen oder sogar zu reisen braucht, weil er bereits alle Informationen zur Verfügung hat. Wieder einfach ein Buch aufschlagen, lesen und zur Ruhe kommen sind die Mittel die sie in ihre Arbeit zum Ausdruck bringt.

3. Ubermalen anstatt malen.

Das unternimmt Nina Tomas in ihren grossflächigen Wandmalereien. Diese bestehen ursprünglich aus mit Motiven gedruckten Stoffen. Diese werden teilweise übermalt so dass der Zuschauer mit weniger formalen und chromatischen Informationen konfrontiert wird und so weniger schnell die Orientierung verliert.

In demselben Sinne ist die akustische Installation » D’ici jusque là-bas » von Stefania Becheanu zu verstehen. Sie malt nicht was sie bei dem Aufenthalt in einer Stadt erlebt sondern sie nimmt nur Töne und Geräusche auf. Eine andere Art und Weise sich von Malerei und Bildhaftigkeit zu trennen.

Im « everything goes » Kunstzeitalter gibt es hier endlich wieder neue, erkennbare und gemeinsame künstlerische Auseinandersetzungen zu entdecken.

Ist die Zeit orientierloser zeitgenössischer Kunst endlich vorbei???