One-Way Ticket Luxemburg-Kabul

« Von Reisen nach Afghanistan und von Aufenthalten jeder Art wird abgeraten. Die Sicherheit ist nicht gewährleistet: Im ganzen Land besteht das Risiko von schweren Gefechten, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen, Entführungen und gewalttätigen kriminellen Angriffen einschließlich Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle. »

One-Way Ticket Luxemburg-Kabul

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« Von Reisen nach Afghanistan und von Aufenthalten jeder Art wird abgeraten. Die Sicherheit ist nicht gewährleistet: Im ganzen Land besteht das Risiko von schweren Gefechten, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen, Entführungen und gewalttätigen kriminellen Angriffen einschließlich Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle. »

Diese Einschätzung der Sicherheitslage in Afghanistan stammt von der Webpage des Schweizer Außenministeriums[1]. Gäbe es von luxemburgischer Seite eine eigene Reisewarnung, würde diese wohl sehr ähnlich ausfallen. Trotz der desaströsen Lage in dem zentralasiatischen Land  hält die luxemburgische Regierung jedoch an ihrer Entscheidung fest, abgewiesene afghanische Asylbewerber mittels Zwangsrückführung nach Kabul auszufliegen.

Non-refoulement-Gebot

Die Rückführung von Personen in Staaten, in denen ihnen Verfolgung oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, ist völkerrechtlich verboten (Non-refoulement-Gebot). Demnach muss bei jeder Abschiebung individuell überprüft werden, ob der betreffenden Person Gefahr droht. Diese Beurteilung ist generell eine sehr schwierige  Aufgabe und im Fall Afghanistan sogar bei sorgfältiger Prüfung mit einem erheblichen Risiko verbunden. Ein generelles Abschiebeverbot in dieses Land wäre demnach aus humanitärer Sicht dringend geboten.

Diese Sichtweise wird allerdings nicht von Außenminister Jean Asselborn geteilt. In seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage[2] vom Abgeordneten David Wagner (déi Lénk) erläutert er, mehrere Regionen in Afghanistan seien als sicher einzustufen, insbesondere die Hauptstadt Kabul und Mazar-i-Sharif. Rückführungen in diese Städte wären demnach möglich und keine Verletzung des Non-refoulement-Gebots.

Angesichts der ständigen Selbstmordattentate in afghanischen Städten ist diese Einschätzung mehr als zweifelhaft. Am 21. November 2016 kam es in Kabul zu einem tödlichen Anschlag auf eine Moschee, 30 Menschen starben und 70 wurden verletzt. Zehn Tage davor explodierte eine Bombe vor dem deutschen Konsulat in Mazar-i-Sharif und forderte vier Tote. Dies sind nur zwei rezente Beispiele, die Liste solcher tödlichen Attacken ist lang.

Frontex-Flüge

In der Vergangenheit wurden Afghanen trotz abgelehnter Asylgesuche meist auf luxemburgischem Boden toleriert. Offensichtlich plant die Regierung aber in Zukunft eine härtere Gangart. Grund dafür ist nicht zuletzt ein umstrittenes Abkommen zwischen der EU und Afghanistan.

Abschiebungen sind generell mit erheblichen administrativen und logistischen Herausforderungen verbunden. Das Herkunftsland muss gewillt sein, die Personen aufzunehmen, muss Reisedokumente ausstellen, und es bedarf einer Koordinierung der Flüge, sowie eine Klärung der Aufnahmebedingungen. Diese Fragen werden in sogenannten Rücknahmeabkommen  behandelt.

Für die EU-Kommission ist das Abschließen solcher Verträge, die generell nicht im Interesse der Herkunftsländer liegen, seit längerer Zeit ein Anliegen. Wegen der Migrationshysterie einiger Mitgliedsländer steht sie aktuell jedoch derart unter Druck, dass sie mit der Brechstange vorgeht: Mittlerweile droht sie offen mit einer Kürzung von Hilfsgeldern, sollten die betreffenden Länder die Unterschrift unter ein Rücknahmeabkommen verweigern.

Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen aus Afghanistan stand das Land bei diesen Bemühungen der EU-Kommission ganz oben auf der Prioritätenliste. Die Verhandlungen stellten sich jedoch als sehr zäh heraus. Teile der afghanischen Regierung wehrten sich heftig gegen ein solches Abkommen, da sie derzeit andere Probleme haben, als sich um die Aufnahme von tausenden abgewiesenen Asylbewerbern aus Europa zu kümmern. Insbesondere der Minister für Flüchtlingsfragen, Sayed Alemi Balkhi, verweigerte bis zuletzt seine Unterschrift[3].

Erst als die Europäer mit einem Scheitern einer Geberkonferenz und somit mit einer dramatischen Kürzung der Hilfsgelder drohten, sprach der afghanische Präsident Aschraf Ghani ein Machtwort. So wurde am 4. Oktober – auf eben jener Geberkonferenz in Brüssel – eine gemeinsame Erklärung mit dem euphemistischen Titel „Joint Way Forward“[4] unterzeichnet, in der sich die afghanische Regierung verpflichtet, abgewiesene Asylbewerber aus EU-Staaten aufzunehmen. Dabei geht es sowohl um freiwillige als auch um unfreiwillige Abschiebungen mit regulären Flügen oder mit Chartermaschinen, die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex organisiert werden. Laut dem Dokument können die Reisedokumente von EU-Seite ausgestellt werden, was die Abschiebungen erheblich beschleunigen wird.

Abschiebung von 70 Personen?

Nach Angaben des Ministers befanden sich Mitte Oktober 233 Personen afghanischer Herkunft in Luxemburg in der Asylprozedur. Mit einer Anerkennungsrate die aktuell bei 68% liegt, wären rund 70 von ihnen potentiell von einer Abschiebung betroffen. Durch die Unterzeichnung der „Joint Way Forward“ Deklaration, braucht sich Luxemburg nicht mehr selbst um die administrativen, logistischen und rechtlichen Fragen zu kümmern, sondern „übergibt“ die abgewiesenen Asylsuchenden – und damit auch die Verantwortung – einfach der Agentur Frontex, die sie dann mit gemeinsamen EU-Flügen nach Kabul ausfliegt.

Jean Asselborn bestätigte dann auch in der bereits genannten parlamentarischen Anfrage, dass Luxemburg sich an den Flügen beteiligen wird. Parallel dazu hat die Regierung ein Gesetzesvorhaben im Parlament deponiert, das vorsieht, die Abschiebehaft für Familien mit Kindern von derzeit maximal 3 Tagen auf 7 Tage auszuweiten. Eine Politik, die dem humanitären Image, das die Regierung und insbesondere der Außenminister gerne über Luxemburg verbreiten, diametral entgegensteht.

US soldiers inspect the scene of a suicide attack outside a base in Zhari district, Kandahar province on January 20, 2014. Nine Taliban militants launched a suicide assault against a US base in southern Afghanistan on January 20, killing one NATO soldier in a region where foreign troops are rapidly pulling out, officials said. AFP PHOTO/Javed Tanveer (Photo credit should read JAVED TANVEER/AFP/Getty Images)

US soldiers inspect the scene of a suicide attack outside a base in Zhari district, Kandahar province on January 20, 2014. Nine Taliban militants launched a suicide assault against a US base in southern Afghanistan on January 20, killing one NATO soldier in a region where foreign troops are rapidly pulling out, officials said. AFP PHOTO/Javed Tanveer (Photo credit should read JAVED TANVEER/AFP/Getty Images)

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[1]                      https://www.eda.admin.ch/content/eda/de/home/laender-reise-information/afghanistan/reisehinweise-afghanistan.html

[2]                      Question écrite n°2466

[3]                      http://reliefweb.int/report/afghanistan/eu-and-afghanistan-get-deal-migrants-disagreements-pressure-and-last-minute

[4]                      https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/eu_afghanistan_joint_way_forward_on_migration_issues.pdf