1

Risse im neoliberalen Einheitsdenken

« Der Konsens wird immer stärker : die Finanzialisierung des Kapitalismus ist ein Irrtum. » Und weiter:

« Unsere zeitgenössischen Gesellschaften (…) wünschen sich, das die Aktion der Betreibe einen positiven Einfluss auf die Herausforderungen hat, mit denen sie konfrontiert ist: Klimawandel, Erschöpfung der Biodiversität und verschiedener natürlicher Ressourcen, Bevölkerungsexplosion, Aufstieg der Ungleichheiten und der Diskriminierungen, Dominanz der Finanzmärkte und ihre negativer Einfluss auf die « affectio societalis »*), oder auch noch das Unwohlsein am Arbeitsplatz. »

Eine nie gekannte Konfusion

Diese Zitate stammen nicht aus der Entschließung des eben stattgefundenen Kongresses der europäischen Linkspartei in Berlin. Es ist ein Plaidoyer von 15 bürgerlichen Persönlichkeiten in Frankreich, das le Monde am 16 November 2016 abdruckte. Unterzeichnete sind Christine Lagarde, Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds, Pascal Lamy, ehemaliger Generaldirektor der Welthandelsorganisation, der PDG von Air-France-KLM, die PDG’s von Danone, vom PMU, von der Sodexo, Universitätsprofessoren in Ökonomie…

Die Feststellungen darin sind erbaulich, die Schlussfolgerungen erbärmlich. Es sollten zwei Artikel des französischen Handelskodexes umgeschrieben werden, damit Frankreich den Weg zeige, wie die Betriebe in gesellschaftliche Verantwortung zu setzen seien. Haben diese Herrschaften der « crème de la crème » der französischen Wirtschaft in einem Anflug von Selbstkritik am Ende ihres Pamphlets Angst vor der eigenen Courage bekommen ?

Die Finanzialisierung des Kapitalismus, lies die Dominanz des Aktionariats, das wenig an der wirtschaftlichen Strategie der Konzerne interessiert ist sondern nur oder hauptsächlich an der Höhe der Dividende, führt längst zu einer inneren Fehlentwicklung des Kapitalismus die unkontrollierbar geworden ist und großen Krisen zuarbeitet. Makroökonomisch ist diese Finanzialisierung nicht zu trennen von der Dominanz der Finanzmärkte, die im Zitat als negativ einschätzt wird.

Nicht so bei Juncker und der europäischen Kommission. In seinem Frühjahrsbericht zur Lage der Union 2016 hatte Juncker bemängelt, dass die europäische Wirtschaft zu sehr von den Bankkrediten abhängig sei, wenngleich er die gewachsene Stabilität der Banken hervorhob. „Es ist auch schlecht für die Betriebe, wie wir es in der Finanzkrise gesehen haben. Deshalb ist es nun dringend, unsere Arbeiten voran zu treiben, die die Union der Finanzmärkte betreffen. Die Kommission stellt heute einen konkreten Fahrplan in diesem Sinn vor.“

Es mag stimmen, dass die Geldlieferer für die Betriebe in Europa ein Bisschen einseitig die Banken sind. In den USA ist es umgekehrt, die Kapitalmärkte liefern vornehmlich die Finanzierung. Die USA sind auch ein Föderalstaat, nicht fir EU. Es bleibt, dass die Finanzialisierung der Märkte in Europa durch die Kapitalunion vorangetrieben wird und Warnungen von Lagarde und Co in den Wind geschlagen werden. Dass weltweit die Finanzmärkte mit Geldern arbeiten die etwa 8mal die Summe des globalen Sozialprodukts ausmachen (BIP-PIB) wird ebenfalls beiseite geschoben.

Gibt es überhaupt kapitalistische Auswege aus der Krise?

Die Austerität im Einklang mit Strukturreformen, wie sie dogmatisch den meisten Ländern Europas und vor allem denen des Südens vorgeschrieben wird, kann wohl nicht ewig weitergeführt werden, wenn die gesellschaftliche Krise nicht noch weiter angeheizt werden soll und die Europäische Union überleben soll. Der Neoliberalismus in seiner reinsten Form ist aber noch lange nicht gestorben. Das Programm des französischen Präsidentschaftskandidaten Fillon zeugt davon. Fillon repräsentiert aber nur einen kleinen Teil der Gesellschaft und ist noch lange nicht gewählt. Vor allem: die Fortsetzung des Neoliberalismus erlaubt aber keinen Ausweg aus der langfristigen Rezession.

Dafür bedarf es einer konsequenten Wiederherstellung der Profitrate im produktiven Sektor. Michel Husson nennt 3 mögliche Auswege um (aus einer systemimmanenter d.h. kapitalistischen Logik heraus) die Profitrate wieder her zu stellen: die Entwertung des Kapitals, die Produktivitätsgewinne, die Senkung der Löhne. („Les sombres lendemains de la crise en Europe* in à l’Encontre 25.11.2016).

Die Löhne hinken seit Jahrzehnten hinter der Produktivitätssteigerung hinterher. Noch weiter senken bedeutet Kaufkraftverlust, der wohl kaum einem Weg aus der Krise dienlich sein kann. Produktivitätsgewinne sind nur sinnvoll wenn die Produkte mehr Käufer finden. Einige von Rifkins Ideen hierzu sind spannend doch halten sie den Regeln der Marktwirtschaft nicht stand, die auf einer Dialektik Produzenten-Konsumenten beruht. Gäbe es weniger Konsumenten, wären Produktivitätsverbesserungen verlorene Müh. Es bleibt eigentlich nur die massive Abwertung des Kapitals, die die Kapitalisten nicht wollen und niemals freiwillig anstellen würden. Ein Zusammenbruch der Kapitalmärkte in einem großen clash ist deshalb durchaus eine mögliche Perspektive. Ob es für das Salariat Europas eine wünschenswerte Perspektive ist, ist eine ganz andere Frage. Das aktuelle Kräfteverhältnis kombiniert mit einer akuten Krise könnte zu einem weiteren Einflussgewinn der rechten und ultrarechten Strömungen führen.

Nach dem glanzlosen Abgang der französischen Sozialdemokratie, ist die Profilierung eines starken, europaweiten antikapitalistischen Pols dringender denn je.

_____________________________________________________________________

*) Ein schwieriger Begriff im französischen Handelsrecht. Er betrifft das gemeinsame Selbstverständnis der Eigner einer Kapitalgesellschaft für die Dauer deren Existenz. Wenn die Eigner nur Anleger sind verschwinden Aspekte wie die industrielle Strategie oder auch „moralische“ (?) Aspekte, wie etwa die Entwicklung einer Region. Sind die Kapitalmärkte in einem Konzern dominant, kann es keine „affectio societalis“ mehr geben.